Hoffnungsträgerinnen für die deutsche Leichtathletik
  27.10.2023 •     WLV , Top-News WLV , Wettkampf , Jugend , BLV , BW-Leichtathletik , Top-News BW-Leichtathletik , Talentförderung


Sie haben hohe Ziele, träumen von Olympischen Spielen. Rosina Schneider (19, TV Sulz), Sandrina Sprengel (19, LG Steinlach-Zollern), und Jolanda Kallabis (18, FT Freiburg), sind Hoffnungsträgerinnen der in Budapest gebeutelten deutschen Leichtathletik.

Es stellt sich die Frage, auf welchem Weg und mit welcher Struktur diese Talente in die internationale Klasse der Erwachsenen vorstoßen wollen: in der dualen Karriere mit Studium beziehungsweise Berufsausbildung und Leistungssport parallel, in einer Laufbahn bei Bundeswehr oder Polizei, oder mit einem Stipendium beispielsweise in den USA, wie es der Zehnkämpfer Leo Neugebauer gerade durchläuft? Die Wege sind verschieden, die Ziele gleich: eine erfolgreiche Karriere bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften.

Alle drei Talente sind beim Meeting der krummen Strecken in Pliezhausen auf die Karriereleiter gestiegen. Kallabis erzielte hier 2022 eine deutsche U18-Bestleistung über 2.000 Meter Hindernis, Schneider bereitete im Schönbuchstadion EM-Staffelgold vor.

Vorschuss-Lorbeeren für Rosina Schneider

Rosina Schneider aus der 448 Seelen-Gemeinde Wiesenstetten bei Empfingen hat eine steilen sportlichen Aufstieg hinter sich. Über die Hürden holte die Juniorin nach Staffelgold in 13,06 Sekunden auch EM-Gold und ist damit zweitschnellste deutsche Hürdenläuferin des Jahres.  

„Keine meiner international erfolgreichen Läuferinnen war im vergleichbaren Alter so schnell wie Rosina Schneider“, zeigt sich Rüdiger Harksen (Mannheim), über 35 Jahre Hürden-Bundestrainer, von der jungen Sprinterin beeindruckt. Alexander Seeger, gerade zum DLV-Nachwuchstrainer des Jahres gewählt, ergänzt: „Rosina ist das größte Sprinttalent seit Gina Lückenkemper“.

Die 19-Jährige Schneider ist in einem engen familiären Umfeld aufgewachsen, nachdem der Vater mit dem Motorrad tödlich verunglückt war. Ihre musische Begabung beweist die auf dem Land aufgewachsene Sprinterin am Klavier.

Schneider trainiert einmal in der Woche in Sulz am Neckar bei ihrem Heimtrainer und Entdecker Norbert Burkardt, fünf weitere Einheiten absolviert sie in Stuttgart bei Sven Rees und Cathleen Tschirch, der WM-Dritten von Berlin 2009 in der Staffel. Nach dem Abitur am Cannstatter Sport-Gymnasium hält sie sich die Optionen offen. „Polizei, Bundeswehr oder Studium, das entscheidet sich in diesen Tagen“, sagt sie und träumt von Olympischen Spielen.

Ende Oktober fliegt sie für acht Wochen ins Trainingslager nach Phoenix (USA) zu Dreisprung-Doppel-Olympiasieger Christian Taylor und reist danach noch zwei Wochen weiter ins Sprinter-Paradies Jamaika zu Hürden-Olympiasieger Hansle Parchment. Rosina Schneider greift früh nach den Sternen.

Sandrina Sprengel: Konsequente Entscheidung für den Spitzensport

Siebenkämpferin Sandrina Sprengel ist nur 20 Kilometer weiter in Grosselfingen bei Hechingen zuhause. Auch sie kommt vom Land, der TSG Balingen, wo die Leichtathletik Wurzeln hat. Das Abitur hat sie in derselben Klasse wie Rosina Schneider gemacht. Ihren ersten sportlichen Erfolg landete sie im Vorjahr mit WM-Bronze in Cali (Kolumbien).

Ihre Stärken sind der Hochsprung (1,83 m) und der Hürdenlauf (13,75 sec). Der Weg in die internationale Siebenkampf-Spitze scheint vorgezeichnet. Sie ist jetzt nach Stuttgart-Untertürkheim gezogen, trainiert am Wochenende zuhause bei Martin Grundmann, unter der Woche ist sie im Olympiastützpunkt in Stuttgart zugange. Sie absolviert in Herrenberg ein Studium bei der Polizei. 40 Stunden Ausbildung dazu gut 20 Stunden Training und Wettkampf sind zu vereinbaren.

Vorbild hat sie keines („Ich will von Vielen was abschauen“), dafür ein langfristiges Ziel: Die Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles. Mit einem Auge spekuliert sie auf die EM 2024 in Rom, „wo ich mich übers Ranking qualifizieren möchte“. WLV-Präsident Dieter Schneider (Mössingen), gleichzeitig ihr Vereinsvorsitzender, schätzt Sprengel „als sehr zielorientierte und disziplinierte Athletin ein, die sich konsequent für den Spitzensport entschieden hat“.   

Kallabis: Juwel auf mehreren Laufstrecken
 
Wie der Vater so die Tochter, lautet das Motto von Jolanda Kallabis (FT Freiburg) auf dem Weg in die Spitze. Damian Kallabis war Weltcup-Sieger, Europameister und hält bis heute den 24 Jahre alten Deutschen Rekord über 3.000 Meter Hindernis (8:09,48 min). Tochter Jolanda sorgte bei den Deutschen Hallenmeisterschaften in Dortmund für einen Paukenschlag, als sie einen Tag vor ihrem 18. Geburtstag über 800 Meter den Titel bei den Frauen gewann und einen 17 Jahre alten deutschen Junioren-Rekord unterbot. Zuvor hatte sie bereits ein U18-Weltestzeit über 2.000 Meter Hindernis aufgestellt. Seitdem gilt sie als Juwel und Shooting-Star der deutschen Laufszene. Die in Donaueschingen und Bräunlingen aufgewachsene Läuferin wurde bislang von Mutter Nina Rosenplänter trainiert, Vater Damian hat die organisatorische Seite gemanagt.     

„Nach dem Gewinn des DM-Titels habe ich mir einen Ermüdungsbruch im Sesambein des Fußes zugezogen“, sagt die 18-Jährige, die danach die komplette Saison 2023 ausgefallen war. Jetzt hat sie einen außergewöhnlichen Schritt vollzogen: Sie ist für vier Jahre als Laufprofi in die Gruppe des ehemaligen Bundestrainers Thomas Dreissigackers gewechselt. Dieser hat mit dem Schweizer Sportartikel-Hersteller „on“ eine elfköpfige Trainingsgruppe zusammengestellt, zu der neben Jolanda Kallabis, der vierfache deutsche Meister Robert Farken (Leipzig) und Athleten aus Großbritannien, Irland, Niederlande, Österreich und der Schweiz zählen. „Unser Ziel ist es, vier bis fünf Athleten zu den Olympischen Spielen zu bringen“, bekennt sich Dreissigacker zu hohen Ansprüchen. Die Gruppe wird dauerhaft von April bis Oktober in der Höhe in St. Moritz leben und dazwischen schon im kommenden Winter drei Trainingslager in Südafrika absolvieren. Die  hohen Ambitionen dieses „On Athletics Club“ unterstreicht die hohe sechsstellige Summe, die der Sponsor investiert. „Wir haben einen sehr flexiblen Mitteleinsatz, der uns gute Voraussetzungen bietet“. Solche Profiteams sind in den USA (Oregon-Nike) üblich, in Europa hat dies Pilotcharakter.

Im on-Profiteam zu den Olympischen Spielen?

„Dies ist ein sinnvoller Schritt für mich im Hinblick auf mein Fernziel Olympische Spiele 2028 in Los Angeles“, sagt Jolanda Kallabis. Sie wurde von ihrer Mutter sehr breit aufgebaut und verfüge über ein ungewöhnlich breites Disziplinspektrum von 400 Meter Hürden bis zu den 3.000 Meter Hindernis. Damian Kallabis steht voll hinter dem eingeschlagenen Weg seiner Tochter, der selber vier Jahre als Läufer Vollprofi war. „Als Halbtagsathlet kann man bei Olympia keinen Blumentopf gewinnen“, sagt er, man wolle sich später keine Vorwürfe machen, weil man nicht alles versucht habe. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. 1998 war Kallabis in Budapest Europameister geworden. Tochter Jolanda erhofft sich, 2024 erstmals für eine EM in Rom qualifizieren zu können, als 19-Jährige.   

 



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